LOOK LEFT - LOOK RIGHT

 
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Wenn ich an den Linksverkehr in England denke, stelle ich mir eine Person vor, welche unfassbar trotzig gewesen sein musste und alles anderes machen wollte, als der Großteil der Welt. Er hat einfach starrköpfig beschlossen, dass England auf der linken Seite fährt. Oft muss ich hier an mich selbst und an meine Jugendzeit denken. Wenn meine Eltern mir gesagt haben, wir gehen links herum, dann bin ich rechts gegangen. Ich hatte immer meinen eigenen Kopf und dieser musste auch immer durchgesetzt werden. Nicht anders kann es bei dem Engländer gewesen sein. Wenn alle Rechtsverkehr haben, dann will ich eben Linksverkehr.

Die Vorstellung finde ich wirklich amüsant, aber tatsächlich gibt es einen einfachen Grund, welcher zurück in der Vergangenheit liegt, wo noch Pferde als Fortbewegungsmittel galten und Krieger Schwerter besaßen um Kämpfe zuführen.  Man kann es sich kaum vorstellen, aber damals galt auf der ganzen Welt Linksverkehr. Die meisten Menschen waren und sind bis heute eher Rechtshänder. Somit war es klar, dass die Menschen früher mit der rechten Hand das Schwert hielten, wenn sie sich verteidigten und kämpfen. Ausgetragen wurde der Kampf vom Pferd aus, welches sie selbstverständlich mit der linken Hand hielten. Um den Gegner mit dem Schwert auf der rechten Seite besser zu erreichen, kam es dazu, dass man auf der linken Seite geritten ist. Die restliche Welt hielt sich genauso daran, bis die ersten großen Wagen und Gütertransporter eingesetzt wurden. Man hat festgestellt, dass es zu schwer ist die großen Wagen auf der linken Seite zuführen, links zu überholen und die genaue Distanz einzuhalten. Die neue Regel setzte sich durch und alle fuhren ab sofort auf der rechten Seite, nur die Engländer mal wieder nicht. Für England galt die neue Regel nicht, da die Straßen für die großen Transporter eh nicht geeignet waren. Also blieb man beim Linksverkehr bis heute.

Ein wenig was vom trotzigen Kind höre ich irgendwie doch aus der Geschichte heraus.

Ich hatte einige Wochen mit dem Linksverkehr zu kämpfen. Ständig habe ich in die falsche Richtung geschaut, habe bereits einen Fuß auf die Straße gesetzt, obwohl die Autos wie wild auf der Seite fuhren und genau deshalb habe ich immer wieder Ideen gesucht, wie ich es mir am besten merken kann.

Bevor ich die Straße überquere schaue ich nach rechts, 

  • da in Deutschland rechts vor links gilt.

  • da ich Rechtshänder bin.

  • da die Engländer es andersrum machen als die Deutschen.

Irgendwie alles nicht das Wahre und nicht die effektivste Eselsbrücke.

Es ist wirklich oft ein sehr seltsames Gefühl etwas zu machen, obwohl es gegen die Gewohnheit ist. Es fühlt sich seltsam und ungewohnt an. Es ist als ob man mit links schreiben würde, obwohl man Rechtshänder ist oder umgekehrt. Oft bin ich mehr als glücklich, dass die zuvorkommenden Londoner auf dem Boden den Hinweis hingeschrieben haben, wo ich hinschauen soll. Doch das ist nicht der einzige Ort, wo ich dieses seltsame „falsche“ Gefühl habe. Jedes Mal, wenn ich in ein Auto einsteige, sagt mir mein Instinkt, dass ich als Beifahrer auf der rechten Seite einsteigen muss. Wie oft hat mich bereits ein Taxi- oder Uber-Fahrer schon völlig verdutzt angeschaut, weil ich mit völliger Überzeugung die Fahrertür aufgemacht habe und mich beinahe bei ihm auf den Schoss gesetzt habe? „Upps. Sorry!“  

Tatsächlich muss ich sagen, dass man sich doch nach einiger Zeit daran gewöhnt hat und dann der Punkt kommt, an dem man tatsächlich weniger darüber nachdenkt, in welche Richtung muss ich zu erst schauen. Nicht nur das der Linksverkehr für die Autos gilt, gilt es ja auch für mich, wenn ich mit dem Fahrrad fahre oder auf dem Bürgersteig zu Fuß unterwegs bin.

Der Linksverkehr macht es einem manchmal hier in London nicht einfach und oft muss ich über mich selbst lachen, wie ich es über die Straßen von London unverletzt schaffe, aber mit all den Hinweisen auf dem Boden kommt man nach einiger Zeit rein und es funktioniert alles besser und besser. An dieser Stelle würde ich ja zu gerne sagen: „Herzlichen Glückwunsch, Sie sind nun kein Tourist mehr und Sie gehen locker, flockig über Straßen, wie ein Londoner es beim Linksverkehr nun macht.“ Aber leider kann ich diese Glückwünsche noch nicht überreichen.

Erst heute bin ich wieder in die Situation gekommen, wo ich es nicht verstanden habe, auf welcher Seite ich nun laufen soll. Der Linksverkehr sagt „KEEP LEFT“, also halte ich mich auf der linken Seite auf und wechsle von der einen Bahnstation zur nächsten Bahnstation durch die unterirdischen Korridore. Irgendwie ging das aber nicht so reibungslos, wie es sein sollte. Ständig kamen mir Leute entgegen und liefen gegen mich. In dem Moment habe ich das Schild an der Wand gesehen „KEEP RIGHT“. Häää? Wieso denn das jetzt? Wieso hier und wieso rechts?  Ich war völlig verwirrt und wurde schlagartig als der ahnungslose Tourist zurückgeworfen. Plötzlich war ich nicht mehr so cool und lief im schnellen Tempo den Gang entlang, wie alle business casual Londoner. Ich versuchte mir die Bahnstation fürs nächste Mal zu merken und die Umgebung etwas besser zu verstehen, da es ganz sicher einen Grund geben muss, weshalb man hier nun auf der rechten Seite laufen soll und nicht auf der linken Seite. Doch dazu kam ich nicht und hatte keine einzige Sekunde von einer Chance. Wäre ich nur kurz stehengeblieben oder hätte ich mich umgedreht, hätten mich hunderte, gestresste in Sportschuhen sowie High Heels laufende Menschen umgerannt, die es wirklich eilig haben die nächste Bahn zu erwischen, pünktlich im Pub anzukommen oder einfach nur nach Hause möchten. Nun gut, man lernt nur dazu und ich weiß, dass ich auch hier mehr auf die Beschilderung achten sollte, so wie im Straßenverkehr.

Kaum habe ich das peinliche links laufen verdaut und laufe super cool, wie alle anderen auf der rechten Seite, laufen plötzlich alle mit einer Selbstverständlichkeit auf der linken Seite auf der Rolltreppe. Die Engländer soll doch mal einer verstehen. Alle stehen brav auf der rechten Seite der Rolltreppe und auf der linken Seite herrscht das verrückte Überholen. Hier muss man schnell sein, wenn man mitlaufen möchte, sonst hast du ganz flott einen Londoner im Nacken hängen, der sich schon räuspert und sich entschuldigt, dass es ihm zu langsam geht oder man im Weg steht. Mal abgesehen, dass die Regel auf der einen Seite stehen und auf der anderen Seite überholen völlig sinnvoll ist, gibt es tatsächlich doch noch andere Gründe und Geschichten weshalb alle auf der rechten Seite der Rolltreppe stehen.

Wie schon zu Beginn erwähnt, sind sowohl damals als auch heute die meisten Menschen Rechtshänder. Man sagt, dass die Menschen, die nicht mehr ganz so sicher und stark auf den Beinen sind, sich eher mit der rechten Hand an der Rolltreppe festhalten würden und links kann man an den langsameren und schwächeren vorbeilaufen. Simpel, aber irgendwie einleuchtend. Genauso gibt es aber auch die Theorie, dass es nichts mit dem Rechtshänder zu tun hat, sondern die Regel eingeführt wurde bei der aller ersten Londoner Rolltreppe. Hier wurde damals beschlossen, dass die laufenden Personen links die Treppe verlassen sollten, um den langsameren und stehenden Fahrgästen auf der rechten Seite nicht den Weg zuschneiden.

Egal wie verrückt und trotzig ich die Engländer manchmal finde und welche Theorie auch bei denen stimmt, dass einzige was hier zählt ist allen immer brav hinterherlaufen und Ausschau halten.

LOOK LEFT - LOOK RIGHT!

 
 
 

Quelle: The Telegraph

Olivia Malchow1 Comment